Eine gemeinsame Basis

Fünfter Artikel in der Serie Diana Leafe Christian – «Creating a Life Together: Practical Tools to Grow Ecovillages and Intentional Communities» – Zusammenfassung, Kommentare und Reflexionen

Kapitel 7 Verträge und Regelwerk – „klare Verhältnisse schaffen gute Freundschaften“

Das Regelwerk aufschreiben scheint anfangs wie unnötige Bürokratie, kann aber Missverständnissen und Streitigkeiten vorbeugen. Mündliche Abmachungen unterliegen der subjektiven Erinnerung. Wenn die Abmachungen dann nachträglich aufgeschrieben werden, z.B. wenn schon Investitionen getätigt wurden, stellt sich häufig Diskrepanzen ein, weil jeder sich zurechtgehört hat was sie oder er hören wollte. Unter Gleichgesinnten, idealistisch geprägten Gemeinschafts-Pionieren kann das Auf- und Unterschreibenwollen als Mangel an Vertrauen und Ehrlichkeit missdeutet werden. Doch es geht lediglich darum, dass alle dasselbe verstehen, zumindest soweit das geschriebene Wort Eindeutigkeit herstellen kann.

Der Formalisierungsprozess fordert und fördert wiederum auch den gedanklichen Entwicklungsprozess, indem beim Ringen um Klarheit bei den Formulierungen jeder sich klarer wird und klarer ausdrücken muss was er meint und will.

Unterzeichnen kann etwas Erhebendes haben, gerade wenn in zeremonieller Form zelebriert. Immerhin unterschreiben hier die Teilnehmer ein wichtiges ihre gemeinsame Zukunft betreffendes und bestimmendes Dokument. Eine feierliche Stimmung darf dabei ruhig aufkommen.

Damit wird das Dokument auch zum Vertrag der nötigenfalls vor Gericht einklagbar wird. Viel wichtiger aber ist die soziale Komponente, negativ ausgedrückt der Gruppendruck, oder positiver gesehen eine Verbindlichkeit untereinander, die Regeln die wir diskutiert und füreinander festgelegt haben einzuhalten.

„Klare Dokumente schaffen gute Freunde“ zitiert Diana die Gründerin der Elixir Farm Vinnie McKinney.

Regelwerke

Bei der Gründung sollten die formalen Dokumente beschlossen werden:

  • Vision (plus Mission und Ziele)
  • Bedingungen der Mitgliedschaft und Teilnahme (Entscheidungsfindungsmethode,
    siehe vorherigen Magazin-Artikel)
  • Kommunikationsregeln (technische Hilfsmittel, Fristen, Hole- und Bringeschuld)
  • Finanzielle Regelungen
  • Die „Landnahme“ (Grundstücksbeschaffung, in unsrem Bauprojekt in Neuruppin schon erfolgt)

Diese können in der Form von Vereinbarungen, formlosen Verträgen oder auch Protokollen vorliegen. Um die Zeit des Einzuges kommen vermutlich folgende Dokumente hinzu:

  • Gemeinschaftsdienste, Einmalzahlungen, Mieten
  • Landnutzung und ökologische Richtlinien
  • Wie fortlaufende Ausgaben bestritten werden sollen, und was geschieht wenn die Kosten überlaufen
  • Aspekte der Hausordnung, z.B. Haustiere, Kinder, Ruhezeiten; Werkzeuge; Alkohol, Rauchen und andere Drogen
  • Aufnahme neuer Mitglieder
  • Finanzielle Beteiligung neuer Mitglieder
  • Verlassen der Gemeinschaft, Auszahlungsmodalitäten
  • Verhaltensnormen einschließlich Konsequenzen von Verstößen
  • Gründe und Prozess für den Ausschluss eines Mitglieds

Einige dieser Vereinbarungen werden innerhalb der Unternehmensform mit dem jeweiligen gesetzlichen Rahmen festgelegt, in unserem Fall das Genossenschaftsgesetz (GenG).

Viele Gemeinschaften sind anfangs von den formalrechtlichen Anforderungen derart überwältigt, dass sie Dokumente erst erstellen, wenn sie in einer Krise notwendig werden.

In Dianas reichhaltiger Erfahrung werden in den meisten Gemeinschaften je nach Grad der Kommunalisierung von Ressourcen die folgenden Vereinbarungen früher oder später notwendig (aufgelistet am Beispiel von Abundant Dawn):

  • Vision: Das wer, was und warum der Gemeinschaft
  • Gesellschaftsvertrag (bei Genossenschaft: Satzung) und Geschäftsordnung
  • Mitgliederordnung: Rechte und Pflichten der Mitglieder (bei Genossenschaften bereits im GenG und der Satzung großenteils festgelegt)
  • Strukturübersicht:
    • Rechtsstruktur
    • Gemeinschaftskultur
    • Entscheidungsfindung und Organisation
    • Struktur, Formation und Beitritt zu einer Untergemeinschaft von Abundant Dawn („Pod“) – dieses Dokument stiftet die Balance zwischen Freiheit der Nachbarschaften innerhalb der Gemeinschaft und gegenseitiger Rücksichtname
  • Lebensmittelvereinbarung: Großeinkauf, Nutzung des Gemeinschaftsgartens, Verteilung von Ressourcen
  • Konfliktresolution: Ein in ständiger Evolution begriffenes Kompendium von Methoden zur Klärung und Schlichtung von Konflikten
  • Finanzielle Vereinbarungen: Alles was sich ums Geld dreht, einschließlich Einnahmen und Ausgaben, finanzielle Verpflichtungen der Mitglieder, was die Gemeinschaft bezahlt und was nicht, Verhalten bei Engpässen. Dies beinhaltet die Berechnung der monatlichen Beiträge aller Mitglieder.
  • Besucherregelung: Wie Interessenten empfangen und beherbergt werden die gezielt eine Gemeinschaft suchen (Siedler, siehe Ende des zweiten Artikels in dieser Serie)
  • Gewerberegelung: Wie Mitglieder auf dem Gelände agierende Firmen betreiben und besitzen, einschließlich finanzielle Bedingungen, Organisation, Verträge und Bedingungen für Nicht-Mitglieder als Gesellschafter, Teileigner oder Angestellte
  • Landplanung: Plan für die Bewirtschaftung und Entwicklung des gemeinschaftlichen Landes oder Grundstücks (eine Art Pflege- und Entwicklungsplan im Landschaftsplaner-Jargon)
  • Umweltrichtlinien für den Bau und die Bewirtschaftung des Gebäudes und der Außenanlagen
  • Forstwirtschaftliche Vereinbarung, einschließlich wie und wann Bäume abgeholzt und Feuerholz gesammelt werden können
  • Haustiere: Minimierung von Beeinträchtigung anderer Mitglieder und der lokalen Flora und Fauna. Vor allem Hunde sind häufig Ursachen schwerer Auseinandersetzungen. Diana nennt das Beispiel einiger Stadtbewohner, die in den ländliche Mittelwesten der USA zogen. In weitläufigeren Anlagen wo Hunde anfangs frei laufen durften, kam es zu tödlichen Übergriffen auf andere Haus- und Wildtiere. Erst danach wurde die Vereinbarung entwickelt, dass Hunde in abgezäunten Bereichen gehalten werden. Katzen können ebenso der geschätzten Wildfauna zusetzen, z.B. Singvögeln. Andererseits helfen Katzen und Hunde, Nager von den Lebensmitteln bzw. Rotwild von den bewirtschafteten Gärten fernzuhalten. Ein differenziertes Thema mit vielen Emotionen, dass sorgfältiger Organisation bedarf. 
  • Ausschlussbedingungen: Festlegung von Verhaltensweisen die einen Ausschluss hervorrufen, wie in diesen Fällen kommuniziert wird, finanzielle Auseinandersetzung usw.
  • Liquidierung (das Ende von Abundant Dawn wie wir es kennen): wie vorgegangen wird falls die ganze Gruppe die Gemeinschaft nicht fortsetzten kann oder will, einschließlich Auflösung der Firmenstrukturen, Verkauf, Fortbestehen von Wohnrechten. Gute vorausschauende Planung, schwierig zu formulieren – wenige Gemeinschaften denken je über ihr potentielles Ende nach.

Die Detailgenauigkeit mag exorbitant wirken, ist aber nach Dianas Dafürhalten clever. Abundant Dawn besteht aus erfahrenen Gemeinschaftlern.

Kapitel 8 – Die Firma

„Nein, keine Firma, Firmen und Rechtsverdreher sind Plagen der Gesellschaft!“ So hat es Diana es entrüstet rufen hören. Firmen bekommen die Rechte einer „juristischen Person“, doch die Gesellschafter machen zu häufig ihren persönlichen Profit auf Kosten der Volkswirtschaft und Umwelt. Idealisten wollen ja gerade weg von Kapitalismus und Konzerndominanz. Dennoch ist eine Rechtsform vonnöten, wenn eine Gemeinschaft Land kaufen und besitzen will. Vergesellschaftung ist an sich neutral, erst wenn sie zur Ausnutzung anderer oder zum Umgehen ökologischer Verantwortung verwendet wird, ist Kritik angebracht.

Wir sind schon eine Genossenschaft und pflegen den Gedanken der hinter dieser Organisationsform steht. Deshalb, und auch weil dieses Kapital ziemlich spezifisch auf US-amerikanische Rechtsformen ist, werde ich hier nur ein paar weitere Punkte nennen:

  • Diana empfiehlt definitiv, einen Rechtsanwalt zu beauftragen (oder noch viel besser, einen im Boot zu haben!), aber erst nachdem die Gruppe sich so gut sie kann eigenständig über Rechts- und Organisationsformen informiert hat. Viele Rechtsanwälte haben jedoch von Baugruppen wenig Ahnung, und die Gruppe sollte nicht in die Falle tappen, den Anwalt mehrere Hundert Euros pro Stunde zu zahlen, damit sie oder er sich in die Details der Baugruppenorganisation einliest. Ein klar strukturiertes Dokument das die eigene Struktur darlegt, und eigene Vorschläge wie man diese Struktur vergesellschaften kann sollte die Gruppe zum ersten Treffen mitbringen. Viele Rechtsanwälte spezialisieren sich auf einige wenige Organisationsformen die ihnen am besten gefallen. Umso mehr sollte die Gruppe schon wissen in welche Richtung sie gehen wollen, und einen Spezialisten aus diesem Bereich anheuern. Wir stehen klar hinter der Genossenschaft als Unternehmensform (s.o.), weil wir überzeugt sind, dass sich in dieser Form Gleichberechtigung der Mitglieder, Orientierung am Gemeinwohl, wirtschaftliche Selbstbestimmung, Information und Vernetzung am besten umsetzten lassen.
  • Auch einen Buchhalter wird die Gruppe brauchen, nicht zuletzt weil es bei Grund- und Immobilienerwerb um hübsche Summen geht und Verbindlichkeit und Transparenz der Geschäfte selbstverständlich gegeben sein müssen.
  • Es kann auch Anwaltskosten sparen, die Gesellschaftsverträge selbst zu entwerfen und nur korrigieren zu lassen. Wiederum sollte die Gruppe schon eine gute Vorstellung im Vorfeld entwickeln was sie mit dem Unternehmen erreichen möchte, da Meinungsumschwünge mehrere Revisionen der Dokumente nach sich ziehen kann, wodurch die Anwaltskosten in die Höhe schnellen.
  • Ein guter Rechtsanwalt sei aber dennoch eine auf längere Sicht sinnvolle Investition, da Fehler bei der Vergesellschaftung schwerwiegende und teure Konsequenzen haben können.
  • Nicht alle Mitglieder müssen sich mit Unternehmensformen auskennen, aber ein kleines Komitee ist besser als nur ein Individuum. Das Komitee sollte Vorschläge unterbreiten, und die gesamte Gruppe sollte die Unternehmensstruktur verstehen, um effizienter zusammenzuarbeiten. Ansonsten besteht die Gefahr dass eine (Unternehmens-)Leiterriege sich herausbildet die unausgewogene Macht besitzt.
  • Die Gesellschaft sollte unbedingt bestehen bevor Investitionen getätigt werden.

Kapitel 9 & 10: Das große Abenteuer Immobilienkauf

Viele Themen in diesem Kapital beschreiben spezifisch die US-amerikanischen Regularien und Gepflogenheiten, und mehrere Fallbeispiele werden im Detail beschrieben. Daher hier wiederum nur einige generelle Kernpunkte mit Relevanz für die Baugemeinschaft Neuruppin:

Flächennutzungspläne, Baurecht und regionaltypische Verordnungen können gemeinsames Wohnen und das Bauen mit nachhaltigen Materialien und Methoden arg behindern.

Je mehr genehmigende Planer auf den Ämtern positive Erfahrungen mit alternativen Bauprojekten machen, umso aufgeschlossener werden sie mit der Zeit. Das Ziel ist also, langfristig die Behörden und Lokalpolitiker zu Mitgestaltern zu machen. (Als Alternative böte sich an in Gegenden siedeln wo die Regularien laxer sind, was wohl auf Deutschland nirgendwo zutrifft.)

Wenn’s ums liebe Geld geht, ist damit zu rechnen, dass manche Interessenten kurzfristig die Nerven verlieren. Alle Fallbeispiele im Buch haben mit dieser Herausforderung umzugehen gehabt.

Bei bestehenden Gebäuden kann ratsam sein, den Vorbesitzern ein Angebot zu unterbreiten in dem ein Plan klar ersichtlich wird wie die Immobilie entwickelt und damit im Wert gesteigert wird.

Das bedeutendste Regulativ wenn die Kosten steigen (oder fallen) ist die Anzahl der Wohneinheiten zu erhöhen (der verringern) um die Kosten auf mehr (oder weniger) Köpfe zu verteilen. Je nachdem welche Größe die bestehende Gruppe sich wünscht, welche Besiedelungsdichte lokal möglich ist und welche Garten-/Freiraumnutzung vorgesehen ist, können der Skalierbarkeit aber Grenzen gesetzt sein.

Leeres Bauland zu kaufen bedeutet gegenüber dem Erwerb bestehender Immobilien:

  • Innerhalb der Regularien kann die Baugruppe gemäß ihrer Vision und ihren Werten umsetzten genau was sie will, und muss sich nicht an die Gestaltung anderer anpassen, sowohl was Funktion als auch Ästhetik angeht.
  • Sanierung oder anderweitige Aufwertung oder Anpassung bestehender Gebäude kann unerwartete Kosten mit sich bringen. Beim Neubau lassen sich die Kosten besser kalkulieren und sind von Anfang an klarer.
  • Bauen benötigt mehrere Vollzeitkräfte für die Planung, Projektleitung und Koordination. Die Gruppe muss die Kosten hierfür (intern oder extern) in den Projektkosten unterbringen.
  • Weniger Kapitaleinsatz zu Anfang, allerdings ist die Investition insgesamt meist höher als beim Altbau-Ankauf.
  • Es dauert länger bis die Gruppe einziehen kann, und oft auch noch länger als geplant.
  • Auch nach erheblichem Geldeinsatz für Grundstück, Planung und Konstruktion müssen die Teilnehmer noch Jahre warten bis sie einziehen können.

 

Hinweis: bei dieser Artikelserie handelt es sich um eine freie Übersetzung mit weitergehenden Kommentaren und Anmerkungen im Hinblick auf unser Bauprojekt, die nicht also solche gekennzeichnet sind. Die Lektüre des Originals von Diana Leafe Christian wird empfohlen (auch auf amazon.de verfügbar, aber nur Englisch, eine deutsche Übersetzung liegt meines Wissens nicht vor).