zusammenfinden – zusammen finden

Siebter, abschließender Artikel in der Serie Diana Leafe Christian – «Creating a Life Together: Practical Tools to Grow Ecovillages and Intentional Communities» – Zusammenfassung, Kommentare und Reflexionen

(Fortsetzung von Kapital 17)

Konflikte als Potential nutzen wie im vorigen Artikel beschrieben klingt ja gut, und die effektive Lösung von Konflikten kann in der Tat eine Gruppe enorm voranbringen, doch Konflikte sind in jedem Fall auch eine Belastung, die wenn sie zu hoch wird eine Gruppe hemmen oder lahmlegen kann. Die Kernempfehlung von Diana hierzu ist, Konflikt frühzeitig zu identifizieren und anzugehen, bevor es zum Eklat kommt. Wenn im Kleinen geübt, wird der Umgang mit größeren Konflikten dann auch leichter.

Als Methode nennt sie erneut den Pegelmesser (siehe den dritten Artikel dieser Serie, #6 Meinungsbild in Kapitel 5). Diese Methode zeigt die Verteilung der Befürwortung, Ablehnung oder Neutralität bezüglich eines gegebenen Themas auf. Wenn es sich um ein Konfliktthema handelt, kann das Meinungsbild mit den anonym eingereichten Nummern die Befindlichkeiten aufzeigen ohne Individuen bloßzustellen, und ggf. eine offenere Diskussion begünstigen.

Wiederum können einige Grundregeln nicht schaden, damit Teilnehmer sich auch in dezidierten Konfliktbehandlungs-Treffen sicher fühlen können. Am Beispiel der „Sowing Circle“ Gemeinschaft:

  1. Bei sich anfangen, prüfen ob der Konflikt hauptsächlich bei mir liegt
  2. Den Dialog mit dem betreffenden Individuum suchen, nie hinterrücks oder intrigant vorgehen
  3. Keine direkten Angriffe, Beleidigungen, Einschüchterungen (direkt oder indirekt), kein Körperkontakt
  4. Wenn eine Lösung zwischen zwei betroffenen Individuen nicht möglich scheint, wird zunächst ein Mediator aus der Gruppe hinzugezogen, wenn dies nicht reicht die ganze Gruppe, und erst als letzten Ausweg externe Mediation.

Externe Mediatoren haben die heikle Aufgabe, eine Balance zwischen Vertraulichkeit und gegenseitiger Kenntnisnahme zu finden.

Verbindlich bleiben

Die meisten Konflikte entstehen wenn Teilnehmer gemachte Zusagen nicht einhalten. In der individualistischen Gesellschaft aus der wir kommen, obliegt es jedem einzeln, sich zu motivieren und Dinge irgendwann anzupacken, wobei extrinsische Faktoren (Vergütung, Resultate, Ansehen) häufig eine dominierende Rolle spielen. In der Gemeinschaft geht es zunächst darum zu erkennen, welche negativen Konsequenzen die Verschleppung einer auf mich genommenen Aufgabe hat, oder positiv formuliert: wie entscheidend mein Anteil am Erfolg des Projektes ist.

Die meisten Gemeinschaften haben keine oder laxe Methoden zur Einforderung von Verbindlichkeiten. Wir wollen ja gerade ein besseres, angenehmeres Zusammenleben erreichen als die Gesellschaft mit ihren Belohnungen und Sanktionen. Doch wenn eine klare Erwartung von Verbindlichkeit fehlt, hat auch dies wiederum negative Konsequenzen auf die Gruppe.

In der Regionalstatt Neuruppin sehen wir vor, alle anstehenden Aufgaben mit Erfüllungsterminen und den ihnen zugewiesenen Personen für alle Teilnehmer der Gruppe auf einer online-Plattform einsehbar zu machen. Automatische Erinnerungen helfen, Aufgaben im Bewusstsein zu halten.

Eine Kaskade von Konsequenzen kann wie folgt aussehen: (Diana erwähnt als Beispiel die Kaskade der „Community Alternatives Society“ in Vancouver, Kanada; ich fasse zusammen.)

  1. freundliche Erinnerungen/Ermahnungen durch ein anderes Mitglied
  2. Zuweisung eines erfahrenen „Mentors“ innerhalb der Gruppe
  3. Berufung eines „Verbindlichkeitskomitees“ und Beratung mit dem säumigen Mitglied über eine Aufholstrategie
  4. eine vertragliche Regelung über Nachholung oder Ausgleichsmaßnahmen
  5. Trennung vom säumigen Mitglied

Gerade wenn es um Einzahlungen oder vereinbarungsgemäße Einbringung von Arbeitsleistung geht, kann der Herauswurf zwar hart wirken aber möglicherweise die einzige Lösung für eine Situation sein die ansonsten fortwährend Konflikte schwelen lassen würde. Bei der „Lost Valley“ Gemeinschaft war die Trennung von den Mitgliedern die finanzielle Autonomie wollten die einzige Möglichkeit, die Vision vom Gemeinschaftseigentum zu verwirklichen.

Kapitel 18 – Mitgliederwahl

Die Baugruppe ist keine Therapiegruppe, wenn auch Persönlichkeitsentwicklung möglich und erwünscht ist. Labile Teilnehmer die in der Gruppe die familiäre oder freundschaftliche Geborgenheit suchen die sie außerhalb nie erlebt haben, können allerdings durch unrealistische Erwartungen und Projektionen die Dynamik der Gruppe schwer beeinträchtigen. Diana empfiehlt, emotional und sozial erfahrene Mitglieder zu suchen, denen die Vision einleuchtet und die auch die finanziellen Verpflichtungen verstehen und einzugehen bereit sind.

Ein klarer Prozess für neue Mitglieder ist ebenfalls sehr hilfreich. Manche Gruppen haben zunächst eine Affiliation oder Anwartschaft, dann eine Probe-Mitgliedschaft von sechs Monaten oder einem Jahr, und wenn alle Kriterien erfüllt sind und alle anderen Mitglieder zustimmen, wird das neue Mitglied voll aufgenommen, und der Neuzugang gehörig gefeiert.

Zusammen leben – wohnen, arbeiten, Freizeit verbringen, altern, sich gegenseitig unterstützen, ist nicht weniger als die komplette Neugestaltung menschlichen Miteinanders. Wohnprojekte die sich dessen von Anfang an bewusst sind können die lohnendsten überhaupt denkbaren Unternehmungen sein. Wo immer Menschen zusammenkommen, wird nichts perfekt sein, aber es ist eine neue Art der gegenseitigen Wertschätzung die das Opfern einigen Schein-Komforts innerhalb der individualistischen Gesellschaft schmackhaft macht.

 

Hinweis: bei dieser Artikelserie handelt es sich um eine freie Übersetzung mit weitergehenden Kommentaren und Anmerkungen im Hinblick auf unser Bauprojekt, die nicht also solche gekennzeichnet sind. Die Lektüre des Originals von Diana Leafe Christian wird empfohlen (auch auf amazon.de verfügbar, aber nur Englisch, eine deutsche Übersetzung liegt meines Wissens nicht vor).