Gemeinsam gedeihen

Sechster Artikel in der Serie Diana Leafe Christian – «Creating a Life Together: Practical Tools to Grow Ecovillages and Intentional Communities» – Zusammenfassung, Kommentare und Reflexionen

Kapital 17 Kommunikation und Umgang mit Konflikten

Nach einigen detailliert die US-amerikanischen Organisations- und Finanzierungsformen betreffenden Kapiteln wendet sich Diana wieder den zwischenmenschlichen Prozessen zu, die eine erfolgreiche Gemeinschaft prägen. Sie beginnt damit, das Beispiel „Naka-Ima“-Training zu nennen, Japanisch für „hier und jetzt“. Die Methode fördert Wahrhaftigkeit und Verbundenheit.

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In Gemeinschaft zu leben fördert unsere Charaktere und Umgangsformen effektiv zutage, weil wir weitaus häufiger als in der sonst so isolierten Gesellschaft miteinander reden, gemeinsam Entscheidungen treffen die alle angehen, unseren Eigensinn und das Gemeinschafts­interesse ausbalancieren müssen. Ein gutes Sinnbild ist die Trommelschleifmaschine („rock tumbler“). Dies ist ein kleines rotierendes Fass in dem Schmucksteine und andere Mineralien zusammen mit einem Schleifmittel und einem Schmiermittel gerundet und poliert werden. Zunächst werden die Krusten und Ecken abgeschlagen, und dann zunehmend die veredelte, glänzende Form hervorgebracht. (Der Vorgang dauert bei Steinen Wochen, bei Menschen wohl meistens länger!)

Wenn es gut läuft, gibt das Leben in Gemeinschaft Energie und fördert die Entfaltung der teilnehmenden Individuen auf ungeahnte Weise. Damit es gut laufen kann, sind fundamentale Verhaltensweisen und Regeln nötig:

Tumbled gemstone pebbles arp

  • Aufrichtig von den eigenen Gedanken, Gefühlen und Sorgen/Ängsten reden – hierfür muss für jeden der nötige Raum und gegenseitiges Vertrauen bestehen.  
  • Demgegenüber genauso wichtig ist ein offenes Zuhören.
  • Mut und Gelassenheit, schwierige Themen anzusprechen, ohne Vorwürfe zu machen:
    • Ich-Botschaften senden
    • Annahmen und Projektionen überprüfen
    • Gefühle wirklich als solche ausdrücken: Ich bin besorgt/wütend/begeistert über…“ anstatt „Ich fühle mich kritisiert/angeschuldigt/manipuliert durch…“
    • Neutrale Sprache bei der Beschreibung von Verhaltensweisen ohne Ironie oder subversiv negative Charakterisierungen

Es braucht Zeit, Engagement und den Willen, die eigenen Kommunikationsformen zu überprüfen und zu verändern. Zunächst können sich neue Umgangsformen gekünstelt anfühlen. Hierbei hilft es sich klar zu machen dass alle Kommunikationsmethoden und -stile, auch unsere jetzigen, auf Lernen und Einüben beruhen (unsere ursprünglichen sind häufig von Eltern, Geschwistern und (anderen) Vorbildern geprägt), und dass wir neue ebenso lernen und einüben müssen und können.

Manche Gemeinschaften geben sich explizite Kommunikationsregeln mit Aspekten wie:

  • ausreden lassen, bzw. wann unterbrechen in lebhafter Diskussion erlaubt oder erwünscht ist
  • Wird gleich auf-den-Punkt-kommen erwartet oder als brüsk und rücksichtlos angesehen?
  • Wie ist es mit Schimpfwörtern oder anzüglichen Bemerkungen?
  • Stiften Fragen zu unseren gegenseitigen Partnerschaften, Finanzen oder der Gesundheit Verbundenheit, oder sind sie Eingriff in die Privatsphäre?

Auch kann ein „Check-in“ nützlich sein: jeder Teilnehmer sagt zu Beginn der Sitzung (üblicherweise begrenzt auf 5 oder 10 Minuten) was in ihrem oder seinem Leben gerade los ist, einschließlich Entwicklungsprozesse, Gefühle und Hoffnungen. Ohne Unterbrechungen, Kommentare oder Stellungnahmen geht es reihum. Auf diese Weise wird verständlich wenn jemand gerade sehr unter Druck steht, auf eine besonders spannende oder nervenaufreibende Zeit zublickt, oder gerade Bäume ausreißen könnte.

Die Gruppe kann auch eine von den Amerikanischen Urvölkern abgeschaute Methode anwenden: Die Teilnehmer sitzen im Kreis, optional wird eine andächtige Stimmung durch Kerzen o.a. begünstigt. Es gibt ein Objekt wie z.B. den Redestab, der in der Mitte liegt und sobald jemand den richtigen Moment für sich erkennt, nimmt sie oder er ihn und spricht, alle anderen hören aktiv zu, wiederum ohne zu unterbrechen. Nachdem die Person den Stab wieder in die Mitte gelegt hat, folgt eine kurze Stille. Eine meditative / kontemplative Stimmung ist erwünscht. Jeder der möchte, spricht, nicht jeder muss drankommen. Es kann festgelegt werden dass jeder nur einmal spricht. Als Variante kann der Stab auch reihum gehen, wie z.B. hier oder hier beschrieben.

Konflikte nutzbar machen

Weder abwehren noch ignorieren, sondern Konflikte grazil einkreisen: eingefahrene Muster ändern sich nicht über Nacht, doch gerade wo Konflikte auftreten, besteht kreatives Potential das eine Gruppe voranbringen kann.

Konflikt kommt zustande, wenn mindestens zwei Menschen eine unterschiedliche Sichtweise auf eine Sache haben, und mindestens einer davon einen emotionalen Bezug hat. Der- oder diejenige(n) die emotional auf ein Thema stark reagieren, können diese Energie entweder auf andere abladen, was zu Verschärfung und Eskalation führt, oder sich selbst, ggf. mit Hilfe der Moderation, fragen warum sie so reagieren, und die Energie für einen Wachstums- und Gestaltungsprozess nutzbar machen. Die Gruppe braucht explizite Strukturen um Konflikte und den Umgang damit systematisch als Gelegenheiten und Chancen aufzugreifen.

Ein Mitglied mag denken, Absicht der Gemeinschaft sei primär gegenseitige Zuwendung und Unterstützung; ein anderes mag Förderung von Autonomie und Schaffung von Freiräumen für zentral halten. Wichtig ist für alle zu verstehen und anzuerkennen, dass es bei der Diskussion hierum nur indirekt um Räumlichkeiten, Zeiten, Verpflichtungen oder Absprachen geht, sondern elementare seelische Bedürfnisse hineinspielen. Wie in jeder Beziehung führen stille Erwartungen und unausgesprochene Bedürfnisse häufig zu Misstrauen, Enttäuschung und Feindseligkeit.

Erstes Regulativ um den konfliktverschärfenden Tendenzen entgegenzuwirken sind Rückmeldungen: Mitglieder werden darin gefördert, klar zu sagen wo die Art der Kommunikation anderer Mitglieder sie gestört oder verletzt hat.

Konflikte entstehen besonders leicht aus folgenden Konstellationen:

  • „Gründer-Syndrom“: Die Gründer nehmen sich und/oder bekommen von den anderen zugeteilt die Funktion der „Ältesten“, elterlich geprägter Respektspersonen mit privilegierter Stellung und Autorität. Andere verfallen in aufgewärmte Muster der Teenager-Rebellion.
  • Pionierleistungen: die Gründer, die Monate oder Jahre der Vorarbeit ins Projekt gesteckt haben, sich mit Widerständen auseinandergesetzt haben und widrigen Bedingungen gestrotzt und sie ausgeräumt haben, erwarten Wertschätzung und Ausgleich von den später hinzukommenden „Siedlern“. Dabei hat niemand sie gebeten diese Vorarbeit zu machen, und sie haben zunächst um ihrer eigenen Vision willen Zeit und Geld investiert. Später hinzukommende tragen unabdingbar zur Finanzierung, Sicherung und Weiterentwicklung des Vorhabens bei, und leisten damit ihren Beitrag.
  • Unterschiedliche Sichtweisen über die Verbindlichkeit der Regularien und Absprachen innerhalb der Gemeinschaft – wenn manche sich routinemäßig über Regeln hinwegsetzen während andere sich daran halten, und keine Klarheit darüber hergestellt wird auf welcher Seite oder welchem Mittelgrund sich alle treffen wollen
  • Interpersonelles (nicht-strukturelles) Machtgefälle, wenn einzelne Mitglieder sich vehementer äußern oder Druck ausüben, direkt oder latent: Andere Teilnehmer haben nicht immer den Mut dieser Person gegenüber ihre andersgehende Meinung zu vertreten. Weil lautstarke Individuen häufig als charakterstark angesehen werden und als Triebkraft agieren, nehmen die anderen die ungleiche Machtverteilung als gegeben hin.
  • Kommunikation hinterm Rücken, mit Unterstellung eigensinniger Motive
  • Hypersensible Reaktionen auf Feedback, Wertung auch gutgemeinter Kommentare als persönlicher Angriff – wie die lautstarken Mitglieder können auch diese Charaktere eine Gruppe kontrollieren, weil die anderen sich nicht trauen ehrlich zu sprechen.
22 Ursprünge von Konflikt (Bei Diana sind’s 24 aber ich fasse ein wenig zusammen)
Struktureller Konflikt
  1. Verschiedenheit der Vision und Werte
  2. Strukturelles Machtgefälle aufgrund von Kenntnissen, Erfahrung oder „Dienstalter“ in der Gruppe
  3. Unproduktive Treffen
  4. Fehlen entscheidender Informationen, insbesondere bei Verantwortlichkeit einzelner für deren Berücksichtigung, z.B. Rechts- oder Planungsgrundlagen
  5. Verschiedene Erinnerungen an Gespräche, aufgrund mangelnder schriftlicher Fixierung
  6. Mangelnde Absprachen über Kommunikations- und Verhaltensformen
  7. Mangelnde Rechenschaft für die Erledigung von Aufgaben, insbesondere wenn durch Verzögerungen Kosten entstehen
  8. Unzureichende Prüfung neuer Mitglieder auf Übereinstimmung mit den Werten und der Vision sowie den finanziellen Verbindlichkeiten
  9. Zuviele neue Mitglieder auf einmal verändern die Dynamik der Gruppe plötzlich und radikal
  10. Reges Kommen und Gehen, da nicht genug Identifizierung mit der Gruppe besteht
Differenzen in Arbeits- und Planungsstilen
  1. Die „Prozessierer“ und die „Macher“: manche Teilnehmer achten mehr auf die Gruppendynamik, wollen Emotionen verarbeiten und Klarheit über die Vorgänge in der Gruppe im Auge behalten, während andere auf Kosten von Gefühlen oder Abmachungen Fakten, Strategien und „greifbare“ Dinge voranbringen wollen.
  2. „Planer“ und „Macher“: Manche wollen genügend Daten sammeln und die Optionen abwägen, andere wollen losmarschieren und sehen was sich entwickelt
  3. „Spirituelle“ und „physische“ Manifestierer: Manche wollen die Gemeinschaft vorrangig über Visualisierung, Rituale und Philosophie definieren, manche mehr über Werkzeuge, Gebäude und Budgets
  4. Unterschiede in der Informationsverarbeitung: visuell oder akustisch, in groben Zügen oder Schritt-für-Schritt können Menschen mit Informationen sehr unterschiedlich umgehen. Gegenseitige Fehlerwartungen oder Projektionen können Konflikte auslösen.
  5. Unterschiedliche Kommunikationsstile aufgrund von Herkunftsgegend, kulturellem Hintergrund, Mentalitäten, und insbesondere zwischen erfahrenen „Gemeinschaftlern“ und Menschen die gerade aus der „normalen“ individualistischen Gesellschaft kommen
Fairness
  1. Ungleiche Arbeitsmoral oder auch nur die Wahrnehmung verschiedenen Arbeitseinsatzes
  2. Unterschiedliche Sichtweisen darüber, wer für was zahlt oder sich woran beteiligt
  3. Unterschiede in den Erwartungen an den Zeiteinsatz, die Priorisierung von Treffen, Tages- oder Wochen(end)zeiten, Zeiten der Abwesenheit einzelner
  4. Geschlechterverteilung und Dynamiken, wenn Männer oder Frauen überwiegen
Nachbarschaftlichkeit
  1. Lebensstile und unterschiedliche Ansichten über Verhaltensweisen, z.B. bezüglich Kindererziehung oder Haustieren, ausleben romantischer Beziehungen und sexueller Orientierung
  2. Grenzflächen: wie frei sollen sich die Mitglieder die Gemeinschaftsräume oder den Gemeinschaftsgarten aneignen, sei es volltönende Streitgespräche auszutragen, mit den Kindern zu schimpfen, oben ohne herumzulaufen, zu trinken, zu rauchen, Gegenstände oder Eigentum herumstehen zu lassen, und inwieweit sich andere ungefragt Gegenstände oder Werkzeuge leihen können…
  3. Instandhaltung und Pflege, Ordnung und Sauberkeit gemeinschaftlich genutzter Einrichtungen und Gegenstände
Die hohe Kunst der Rückmeldung (Feedback geben)

Um nicht bei den Konfliktursachen stehen zu bleiben, hier noch der erste Teil der Ausführungen über das entscheidende Element der Konfliktresolution und der Basis eines guten Miteinanders: die Mitteilung der Reaktion auf die Verhaltensweisen anderer.

Bewertende oder kritisierende Mitteilungen mit generalisierenden Schlüssen auf die Ambitionen oder Intentionen, oder gar Wesensart des anderen führen zu defensiven Blockaden, Rechtfertigung, Eskalation und Verfeindung jeder Gemeinschaft.

Gute Rückmeldungen drücken aus was das Verhalten des anderen in mir bewirkt hat. Auf diese Weise kann der andere am ehesten nachvollziehen und einsehen wo möglicherweise Verhaltensänderungen auf seiner/ihrer Seite vonnöten sind.

Denn Menschen wollen nicht gesagt bekommen wie sie sich zu ändern haben, aber die meisten, und gerade solche die sich gezielt einer Gruppe anschließen, wollen sich dadurch weiterentwickeln dass sie verstehen wie sie wirken und was ihre Handlungen auslösen.

Wie oben beschrieben, sind die Kernelemente guten Feedbacks: Ich-Botschaften, neutrale Sprache, wertneutrale Beschreibung des Verhaltens ohne Rückschlüsse auf Motive oder Charakter, und die Beschreibung realer, anschuldigungsfreier Emotionen.

Gute Rückmeldungen zu geben ist eine Kunst in der wir uns alle üben, und gleichzeitig alle erwarten sollten das wir nicht vollkommen sind. Feedback kann:

  1. Rücksichtlos, feindselig, kritisch oder übertrieben herübergebracht werden, und trotzdem einen Kern oder ein großes Stück Wahrheit in sich haben;
  2. Die Rückmeldung kann aber ebenso komplette Projektion des anderen sein und mit meinen Handlungen eigentlich kaum etwas zu tun haben.
  3. Und selbst wenn rücksichtsvoll und umsichtig dargebracht, kann Feedback immer noch übertrieben oder gänzlich verfehlt sein.
Die hohe Kunst des Hörens von Feedback

…das Gegenstück, besteht darin:

  • den wahren Kern einer Rückmeldung aus der ‚Darreichungsform‘ herauszufiltern
  • gelassen zu bleiben und aufrichtig zu verstehen zu trachten warum mein Verhalten so gewirkt hat –
    • ob der andere da einen wunden Punkt hat, und/oder
    • ob ich mich tatsächlich im Ton oder in den Mitteln zum Zweck oder in meiner Absicht vergriffen habe.
    • Es könnte einfach sein dass sehr verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen, dass die Konstellation und das Thema den Konflikt erzeugen, und nicht die Inkompatibilität unserer Charaktere
  • so gut wie möglich zu erreichen dass weder der ‚Rückmelder‘ noch der ‚Rückbemeldete‘ sich persönlich angegriffen fühlen

Diana schlägt als gute Methode vor, andere Mitglieder im Anschluss an die Rückmeldung offen und direkt (ohne tendenziöse Formulierungen) um Verifizierung zu fragen.

Um die Weichen auf erfolgreiches Miteinander zu stellen, ist es wohl dienlich, grundlegende Kommunikationsformen verbindlich festzulegen, und seitens des Moderators auch Verstöße gegen diese nicht durchgehen zu lassen. Denn die Qualität des interpersonellen Umgangs ist mindestens ebenso entscheidend für den Erfolg einer Baugruppe wie die architektonischen oder ingenieurtechnischen Qualitäten.

 

Hinweis: bei dieser Artikelserie handelt es sich um eine freie Übersetzung mit weitergehenden Kommentaren und Anmerkungen im Hinblick auf unser Bauprojekt, die nicht also solche gekennzeichnet sind. Die Lektüre des Originals von Diana Leafe Christian wird empfohlen (auch auf amazon.de verfügbar, aber nur Englisch, eine deutsche Übersetzung liegt meines Wissens nicht vor).