Überkomplexität

Komplexität ist wunderbar. Die biochemischen und ökosystemaren Regulationsprozesse sind mannigfaltig verschachtelt und ausgeklügelt (wenn man daran glaubt), oder evolutiv hochgradig optimiert und verfeinert.

Wissenschaft vereinfacht Strukturen, um sie begreiflich zu machen und mit handhabbarem Denkaufwand logische Schlüsse ziehen zu können. An ein komplexes System wird "herangezoomt" bis nur noch ein scheinbar einfacher Teilvorgang und dessen unmittelbare Umgebung betrachtet wird. Solange der Kontext im Blickfeld bleibt, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn man die Naturprozesse funktional betrachtet, stellen sich in aller Vielfalt und Komplexität einige einfache Kernprinzipien heraus, z.B.:

  • Vegetation und der lebendige Boden speichern Wasser und die darin gelösten Nährstoffe, bauen sie in Zellen ein und führen sie in kleinen Kreisläufen. Die Natur hat eine scheinbare "Absicht" Kreisläufe zu schließen und Verluste zu minimieren. Hinter der Absicht verbirgt sich freilich das evolutive Prinzip Optimierung und Stabilisierung oder Degenerierung und Untergang.
  • eingestrahlte Sonnenergie wird hauptsächlich durch Erwärmung von Wasser und Phasenwechsel (Verdunstung und Kondensation) absorbiert und zeitversetzt gedämpft wieder abgegeben.

Diese Prinzipien sind übergeordnet, ihre Umsetzung in der Landschaft ist mannigfaltig und komplex.

Wenn wir Menschen komplexe Systeme schaffen, verlieren wir in aller Regel früher oder später den Überblick, fangen an herumzudoktern, betreiben immer erfolgloser "Fehlerbekämpfung". Und das nennen wir dann zurecht "Überkomplexität". Systemtheoreticker haben diesen Begriff kritisiert mit dem Argument die Natur sei auch komplex, aber es gibt eben diesen feinen aber entscheidenden Unterschied - verlieren wir den Überblick, fangen die Einzelelemente des komplexen Systems an gegeneinanderzulaufen statt sich zu ergänzen und Synergien zu auszubilden. Und damit steuern wir dann oft genug auf Katastrophen zu und nicht auf Optimierung. Viele Köche verderben den Brei - die einen deponieren Klärschlamm weil zu viele Schadstoffe drin sind, die anderen bringen mineralische Dünger auf ihre Flächen auf, die anderen "eliminieren" dann wieder Phosphat in Kläranlagen, usw. Nicht integriert, nicht aufeinander abgestimmt und gegenläufig, ergeben diese Einzelschritte unmittelbar und isoliert ökonomischen Sinn für eine Weile, aber das Gesamtsystem wird nicht optimiert sondern degeneriert.

Im Kleinen wieder neu anfangen ist keine Absage an die Globalisierung - ansonsten müßten wir uns vom Internet und derlei Annehmlichkeiten entrüstet abwenden, sondern es ist der Versuch zu optimieren statt zu degenerieren. Es ist eine Generationenaufgabe, wie unser Mitglied Reinhard Stransfeld in seinem neuen Artikel anschaulich macht:

Reinhard Stransfeld: Überkomplexität